erlebnisbericht eines ausfluges zur golden gate brigde

am wochenende ein plötzlicher anfall von ehrgeiz, dem pubertierenden nachwuchs schnell nochmal ein bischen kultur nahebringen, bevor es zu ganz spät ist.
die deichtorhallen werben gerade auf allen kanälen mit einem coolen gratisangebot:

»Horizon Field Hamburg« wird die Wahrnehmung des Gehens, Fühlens, Hörens und Sehens umorientieren und neu verbinden. Diese persönliche bzw. kollektive Erfahrung wird durch Vibration, Sound und Widerspiegelung vermittelt werden.

das sollte man sich natürlich nicht entgehen lassen.

die einladung dazu hatte ich schon vor monaten in der hand gehalten. milimeterdicke schwarze pappe, sehr edel. weil ich mir auf eröffnungen in den deichtorhallen aber immer ein bischen vorkomme wie auf einem weinfest in pöseldorf hatte ich mir diese gespart.
die kunst in den deichtorhallen ist selten eine, die man noch nicht gesehen hat. grosse stars und grosse budgets. man will internationales publikum und stellt deswegen die selben sachen aus, die auch schon in new york, paris und basel zu sehen waren.
nun also der weltstar gormley.

die „einzigartige erfahrung“, wie auf der webseite geworben wird, begann erstmal mit schlange stehen. vor dem eingang der nördlichen halle war eine art kassenhäuschen aufgebaut wo man unterschreiben musste, dass man die installation auf eigene gefahr betreten würde.

irgendwo hatte ich ein interview mit der aktuellen hamburger kultursenatorin kissler gelesen, die auf die frage, was ihr „persönliches kulturhighlight“ in letzter zeit gewesen sei, antwortete:

Wir haben viel arbeiten müssen für die Ausstellung “Horizon Field” in den Deichtorhallen und das Ergebnis finde ich fulminant. Ich hatte leise Zweifel, ob Hamburg dieses Projekt goutieren würde. Aber die Besucherzahlen dokumentieren, dass die Hamburger und nicht nur sie dieses Projekt von Antony Gormley lieben.

dazu kann ich nur sagen: ich habe leise zweifel, ob auch nur ein hamburger mit uns in dieser schlange stand. auch später, im ausstellungsraum, kamen mir leise zweifel, ob ausser trekkinghosen und rucksack tragenden touristen noch jemand da war.
ich möchte sogar leise zweifel anmelden, ob das jemals anders geplant war. ob es der kulturpolitik in hamburg jemals um etwas anderes ging als um tourismus.

nachdem wir alle drei (mein mann, mein sohn und ich) unsere unterschrift geleistet hatten wurden wir von ordnern (in meiner erinnerung waren die schwarz gekleidet und trugen funkgeräte, ein bischen wie bei der oscarverleihung) zur garderobe verwiesen wo man seine schuhe ausziehen und die taschen abgeben musste. zettel mit sicherheitsbestimmungen lagen aus, ua. dass das springen auf der plattform nicht erlaubt sei ebenso wie das auf und abschwingen.

es erinnerte alles ein bischen an freizeitpark. die schlangen, die schilder mit den gefahren-hinweisen („kinder unter 12 jahren nur in begleitung erwachsener“ etc.) und auch das publikum. von unten erinnerte die fläche ein bischen an ein gigantisches trampolin.

wir stiegen die treppen empor zum obersten treppenabsatz, wo die besucher von einem ordner in zeitlichen abständen einzeln auf die plattform gelassen wurden. das freizeitparksgefühl wich einem rutsche-im-erlebnisbad gefühl.

leider lief es mit meiner “persönlichen erfahrung von vibration, sound und widerspiegelung“ auch etwas anders als vorgesehen. ich hatte schlicht schiss. die plattform war rappelvoll. nicht gerade ein ort zum meditieren wie gormley es hier nachgesagt wird.

wir tasteten uns langsam vor bis zur mitte und sahen zwei männern in dreiviertelhosen dabei zu wie sie immer hin und her rannten. ab und zu knallte es irgendwo und ich beobachtete mit entsetzen wie leute hochsprangen und sich bemühten, besonders schwer und laut aufzukommen. wo blieben die lautsprecheransagen oder irgendwelche anderen tadelnden zugriffe der ordner? die schisser blieben natürlich auf ihren sicheren treppenabsätzen und beobachteten müde das ordnungswidrige treiben. und daneben mein mann und mein sohn, die mir fröhlich zuwinkten, sichtlich erleichtert, nochmal mit dem leben davon gekommen zu sein.

wieder unten angekommen gab es am fusse der treppe, wie ich zu erinnern meine, gleich mehrere räume mit dokumentarfilmen über das projekt.
der künstler erklärte hier seine absichten, der deichtorhallenchef sprach über die besucher, die hoffentlich, nachdem sie bei der documenta waren, auch noch nach hamburg kämen, und man sah mitarbeitern der stahlbau- und statikfirma, die das projekt statisch konzipiert, geplant und umgesetzt haben, bei der arbeit zu. während ich das sah dachte ich, wie froh diese ganzen dienstleistungs- und handwerksbetriebe doch sicher waren, so einen fetten auftrag zu bekommen, soviele arbeitsplätze, alle bezahlt von der kulturbehörde und der kulturstiftung des bundes. das deutschlandradio meint sogar, dass die “Aufbau- und Materialkosten […] sich auf eine Million Euro [summieren].” (was mir wenig vorkommt).

der film, der hier auf youtube zu sehen ist, scheint etwas anders geschnitten zu sein als der, den ich im rahmen der ausstellung gesehen habe. hier fällt mir jetzt insbesondere diese seltsame gegenüberstellung von künstler und arbeitern etwas unangenehm auf. wenn beispielsweise die „ausstellungsmanagerin“ die instanzen aufzählt (ingenieure, statiker, architekten, sicherheitsexperten, experten aus dem bereich stahlbau, holzbau und belagsbau), die das spektakel „unter hochdruck“ ermöglicht hätten, während hinter ihr die arbeiter wuseln, und dann – schnitt – gormley im weissen t-shirt vor der fertigen glänzenden fläche steht und davon redet, wie er es immer schon als „open space“ betrachtet habe. die ganze idee dieser show sei es ja, einen freiraum zu schaffen für erfahrungen, ein erfahrungsfeld! dann wieder – schnitt – tüpen in schutzanzügen verstreichen giftige schwarze epoxidharzmasse und – schnitt – gormley spricht von der „auto-observation“ um die es ihm ginge, wenn besucher sich auf dem schwarzen lack spiegelten und den eindruck bekämen, sie gingen auf wasser. „I‘m moving like I was drunk but I haven‘t drunk anyting! Those kind of auto-observations.“

in der film-version die vor ort lief gab es auch noch eine stelle wo die oben erwähnte managerin erzählt, wie sie zeitweilig immer wieder gezweifelt habe, dass so etwas tatsächlich möglich sei. das war dann auch die stelle, als ich vorsorglich den vorführraum verliess. ich war sicher, dass als nächstes einer der bauarbeiter anfangen würde zu schwärmen, was für eine einzigartige erfahrung es gewesen sei, mit gormley zusammen zu arbeiten, das wollte ich mir sparen.
aber falls ich irgendwann mal ne statikfirma brauchen sollte weiss ich ja jetzt eine, die gut sein soll.

ich habe dann tatsächlich noch ein paar tage darüber nachgedacht, was für eine rolle eigentlich das ganze szenario drumrum bei dieser arbeit spielt. wenn es um die handlung der besucher auf der plattform geht, um ihr barfusssein, wie gormley hier behauptet, dann geht es natürlich auch um die garderobe, wo man die schuhe auszieht. wenn im ausstellungsraum filme laufen, die das komplette making-of zeigen, geht es auch um diese filme und was sie zeigen, also den aufbau, die arbeiter, die sicherheitsexperten, den deichtorhallenchef und die managerin. um die ordner mit ihren funkgeräten, die sicherheitshinweise und das kassenhäuschen mit den unterschriften.
es geht um das „rahmenprogramm“ mit zumbakursen, modenschauen und barfusskonzerten.
aber je mehr zumba und tangoflashmops, je mehr gerede über den “spektakulären” aufwand, je mehr und je grösser das alles sein soll desto kleiner finde ich es.

ich bin wohl die letzte, die etwas gegen größe oder übertriebenen aufwand sagen würde, mir ist es auch egal ob eine arbeit eine oder fünf millionen euro kostet, wenn die arbeit diesen aufwand erfordert und sich einer findet, der den mist bezahlt, ist doch alles bestens. dass aber dadurch sogar die arbeit ansich besser wird oder gar vergleichbar mit dem eifelturm und der golden gate brigde, wie deichtorhallenchef luckow es hier zusammen phantasiert, das wäre wohl zu einfach.